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Übersee

von Peter Fritz
(Washington DC)



Kriegsgebiet

Es gibt Gegenden in Washington, um die sollte man besser einen weiten Bogen machen. Ich habe oft im weitläufigen, prächtigen Parlamentsgebäude auf dem Kapitol zu tun. Aber ich würde mich nie trauen, ein paar hundert Meter weiter Richtung Südosten zu gehen, in die Wohnanlage East Capitol Dwellings. Seit vor ein paar Jahren Drogenhändler und Jugendbanden dort die Macht übernommen haben, ist das Viertel ein regelrechtes Kriegsgebiet. Die meisten Bewohner sind arm, die schlichten, einstöckigen Ziegelhäuser sind Sozialbauten.
Vor kurzem ist hier eine 55jährige Frau ihren Schußverletzungen erlegen. Sie hatte sich schützend vor ihre Enkelkinder gestellt, als verfeindete Drogenbanden mit Schnellfeuerpistolen aufeinander losgingen. Das Haus, in das sie mit ihren Enkeln flüchten wollte, lag zufällig in der Schußlinie.
Eine Woche davor starb dort eine Mutter von fünf Kindern, als sie in ihrem Haus gerade Vorhänge aufhängte. Eine verirrte Kugel hatte sie getroffen, auch in diesem Fall hatten Gangster einen Streit um Drogen mit Schußwaffen ausgetragen.
Jetzt werden allen Kindern in diesem Viertel die Kriegsregeln eingeschärft: Wenn die Drogendealer an der Ecke zu streiten beginnen, sofort weglaufen. Wenn Du Schüsse hörst, sofort ins Haus und flach auf den Boden, möglichst weit weg von den Fenstern, und ruhig liegenbleiben, solange es geht.
Seit einem halben Jahr muß dort auch der Kinderspielplatz als Umschlagplatz und Kampfgebiet der Drogengangster herhalten. "Würde sich die Polizei das gefallen lassen, wenn dieser Spielplatz im Nordwesten der Stadt läge?" fragte ein Kommentator in der "Washington Post". Die Frage ist berechtigt. Im Nordwesten wohnen nämlich vor allem die reichen Weißen, im Südosten der Stadt wohnen vor allem die armen Schwarzen. Washington hat keine Mauer, aber es hat trotzdem unverkennbare Züge einer geteilten Stadt.



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