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Übersee

von Peter Fritz
(Washington DC)



Geduld ist Pflicht

Der Spruch „Zeit ist Geld" stammt zwar aus Amerika. Aber wenn man länger hier lebt, dann bekommt man seine Zweifel daran. Es gibt hier recht viele Situationen, in denen man einfach Zeit haben muß, auch wenn einem gar nicht danach zumute ist. Beim Einkaufen zum Beispiel. Äußerste Geduld ist hier die oberste Bürgerpflicht. Beim Anstellen an der Supermarktkasse heißt es lächeln, freundlich sein, und selbst im allergrößten Streß kein lautes Wort verlieren. Die Kassierinnen werden immer freundlich sein, aber nie rasend schnell. Und immer wieder wird ihnen eine Preisangabe fehlen, die dann über Lautsprecher müsam erfragt werden muß. Wenn Sie Pech haben, dann läßt vor Ihnen ein Kunde zwanzig Rabattkupons einlösen und macht sich dann gemütlich daran, einen Scheck auszufüllen. Man könnte auch mit der Bankomatkarte zahlen, aber das kostet Spesen, und da wählt man lieber die zeitraubende Methode mit den Schecks.
Kein böses Wort wird in der Warteschlange fallen, denn auf Gelassenheit und Disziplin beim Anstellen halten die Amerikaner sehr viel. Wenn in der Wurstabteilung die Leute ungeordnet auf Bedienung warten, dann ist das nur eine Warteschlange ohne Schlangenform. Jeder steht, wo er will, aber jeder merkt sich genau, wer vor wem da war und wem daher der Vortritt gebührt. Und alle bemühen sich, viel gute Laune zu zeigen, auch wenn die Wartezeit Stunden dauert.
Auf dem Weg zum Strand ist meine Familie vor kurzem festgesteckt in einem Verkehrsstau. Ein Unfall hatte die Autobahnbrücke verstopft, zweieinhalb Stunden konnte sich kein Auto auch nur einen Zentimeter vor oder zurück bewegen. Was taten die Amerikaner? Sie holten Getränke aus dem Kofferraum, improvisierten ein Picknick und taten so, als wäre der Stau schon ihr allerschönstes Urlaubserlebnis. Eine Selbsttäuschung, die Zeit und Geld verbraucht, aber die Nerven schont.



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