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von Peter Fritz
(Washington DC)

Reife Leistung

Haben Sie schon einmal ein Zeugnis bekommen, in dem gezählte 66 verschiedene Punkte Ihrer Leistung beurteilt wurden? Ich halte es soeben in der Hand. Meine Tochter Klara hat es aus der Schule mitgebracht. Klara ist fünf Jahre alt.
Ich war in allerlei Schulen, ich habe studiert und in großen Firmen gearbeitet, aber noch nie in meinem Leben habe ich eine derart umfangreiche Beurteilung über mich ergehen lassen müssen.
Für jedes nur denkbare Kriterium gibt es eine Kategorie. „Das Kind kann sich selbständig helfen. Es befolgt die wichtigsten Regeln für Gesundheit und Sicherheit." Die beiden Kästchen neben diesen Sätzen sind mit einem großen I markiert, das heißt „in progress", also zufriedenstellende Leistung. „Das Kind befolgt die Regeln und Anweisungen, hört gut zu, kann seine eigene Leistung gut einschätzen." Dreimal steht hier ein P im Kästchen. Das heißt „proficient" und soll so viel bedeuten wie „sehr gut". Fünfer gibt es keine bei den Fünfjährigen, sehr wohl aber ein N für „not yet", das Kind ist also noch nicht so weit. Unter den 66 Noten ist bei Klara ein einziges N zu finden, beim korrekten Entziffern von englischen Wörtern.
Ich mußte mit fünf Jahren noch nicht einmal deutsche Wörter entziffern können, und mathematisches Denken war damals auch noch nicht gefragt. Klara hat gleich sieben Mathematiknoten bekommen, vom Erkennen geometrischer Formen (P) über das richtige Zählen (P), das korrekte Benennen von Tageszeiten und Wochentagen (I) bis zu meiner Lieblingszeile auf dem Zeugnis: „Das Kind ist in der Lage, Konzepte und Wissen durch mathematische Begriffe weiterzukommunizieren" (I). Fragen Sie mich nicht, was das bedeutet. Ich werde mich davor hüten, Klara danach zu fragen. Ich fürchte, sie könnte mit einer mathematischen Formel antworten, und was das anlangt, ist die Note „N" für mich gerade noch gut genug.