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Überseevon Peter Fritz
ÜbereiferZehntausend Dollar mußte Cynthia Stewart aus der Kleinstadt Oberlin bei Cleveland als Kaution auf den Tisch legen, um der Untersuchungshaft zu entgehen. Der Strafprozeß steht noch bevor. Ihr droht eine Haftstrafe von bis zu 16 Jahren Dauer, und sie könnte das Sorgerecht über ihre achtjährige Tochter verlieren.Was hat Cynthia Stewart verbrochen? Das wüßte sie selbst auch gerne. Sie ist begeisterte Amateurfotografin. Sie hat im Lauf der Jahre tausende Fotos von ihrer Tochter gemacht. Aber diesmal sollen ihre Fotos auf verbrecherische Art und Weise unanständig gewesen sein. Die Aufnahmen sind entstanden, als Cynthias Tochter unter der Dusche stand, und dabei war sie nackt, wie das in solchen Fällen nun einmal üblich ist. Im Fotolabor der Firma Fuji, wo die Bilder zum Entwickeln hingingen, holten Angestellte die Polizei. Der Staatsanwalt schritt ein, und seither muß sich Cynthia Stewart darauf gefaßt machen, bald als Verbrecherin angeklagt zu werden. Ihren Job als Schulbusfahrerin ist sie losgeworden, man hat sie –unbezahlt- vom Dienst suspendiert. Im Kampf gegen angeblichen oder vermeintlichen Kindesmißbrauch schießen übereifrige Behörden hier immer wieder weit übers Ziel hinaus. Der elfjährige Raoul aus Denver, der voriges Jahr plötzlich als Sexualstraftäter im Gefängnis landete, war das bekannteste Beispiel. Im Fall von Cynthia Stewart ist aber jetzt eine Gegenbewegung entstanden. Viele Leute aus ihrer Umgebung halten die Vorwürfe gegen die Frau für grotesk. 300 Menschen haben mit Kerzen in der Hand vor ihrem Haus eine Mahnwache abgehalten, und ein Rechtshilfefonds hat mehr als eine halbe Million Schilling für die Anwaltskosten gesammelt. Cynthia wird gute Verteidiger brauchen. Denn der Staatsanwalt läßt nicht locker. Er will im Frühsommer den Prozeß ansetzen, der Cynthia Stewart ihre Freiheit und ihre Tochter kosten könnte. Copyright © |